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AutorenbildMarlies Mittler

Unterschiede ins Spiel bringen

Aktualisiert: 11. Juli

Meine Learnings für die Arbeitswelt von der EURO 2024


Diversity bezeichnet die Idee, dass Menschen ihre Unterschiedlichkeiten gleichermaßen in die (Arbeits-)Welt einbringen können und ihnen nicht deswegen Stellen, Karrierechancen und Einflussmöglichkeiten vorenthalten werden.

Die gerade zu Ende gehende EURO 2024 liefert wichtige Erkenntnisse über den Umgang mit Unterschiedlichkeit. Zwei davon übertrage ich im Folgenden auf die Arbeitswelt und konkretes Führungshandeln:

  1. Die Integration ethnischer Unterschiede funktioniert im Fußball deutlich besser als in deutschen Unternehmen. Im Fußball gelingt offenbar die Auswahl nach dem Leistungsprinzip – allein die Fans hängen manchmal gedanklich hinterher.

  2. Vom Fußball (von jedem Team-Sport) ist noch eine weitere Art zu lernen, mit Unterschiedlichkeit umzugehen, nämlich die Förderung und der bewusste Einsatz von Unterschieden für eine exzellente Gesamtleistung.

Wie können diese Learnings in der Arbeitswelt Wirkung entfalten?

Endlich machen: Bahn frei für Unterschiede

Art. 3 des Grundgesetzes regelt, dass „niemand wegen wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen, seiner Behinderung benachteiligt oder bevorzugt werden“ darf.

Deutsche Unternehmen sind davon weit weg: Hier gilt nach wie vor, dass ein „fremd“ klingender Name und nicht-weiße Hautfarbe sowohl im Bewerbungsprozess als auch auf dem weiteren Karriereweg fast unüberwindbare Hindernisse darstellen.

Gut erforscht ist, dass Menschen bei Stellenbesetzungen dem „similar-to-me-Effekt“ (auch „Mini-Me-Effekt“) aufsitzen. Der beschreibt, dass wir andere Menschen als sympathisch und in der Folge auch geeignet beurteilen, wenn sie uns ähnlich sind. Und dass wir umgekehrt Unähnlichkeit mit Nicht-Sympathie und weniger Fähigkeit assoziieren. (Mehr dazu hier)


So machst du dein Team oder dein Unternehmen diverser:
  • Gestalte einen Bewerbungs- oder Karriereprozess, in dem du möglichst lange keine mini-me-gefährlichen Aussagen bekommst: Verzichte z.B. auf Namen, Bilder, Altersangaben.

  • Mach dir bewusst, dass auch andere Kriterien (Berufswahl, Automarke und andere wirklich unwichtige Dinge) den mini-me-Effekt hervorrufen können.

  • Stelle dich kritisch und ehrlich deinen eigenen Vorurteilen bezogen auf Alter (zu alt, um…, zu jung, um…), geschlechtliche und sexuelle Orientierung, Religion, Weltanschauung und Attraktivität (Kann in deinem Kopf eine unsportliche Person Führungskraft werden? Auch eine übergewichtige unsportliche Person?). Verstehe Ãœberraschungen (Hätte ich gar nicht gedacht, dass…) als Hinweis auf mögliche Vorurteile.

  • Benenne Kriterien, die dir für deine Auswahl wichtig sind und priorisiere sie. Beteilige andere in deinem Team oder deiner Organisation, vor allem "andere" andere.

  • Führe Gespräche, in denen du die Eignung von Menschen beurteilen möchtest, als halbstrukturierte Interviews. Dann kannst du im Gespräch Informationen zu deinen Kriterien sammeln und sie vergleichen.

  • Suche dir bewusst eine:n Tandem-Partner:in für das Gespräch, der/die anders tickt als du. Entscheidet bewusst, wie ihr eure Unterschiedlicheit im Gespräch und bei der Auswertung nutzen wollt.

  • Frage ausdrücklich nach besonderen Erfahrungen und achte beim Zuhören darauf, welche Fähigkeiten und Eigenschaften sich hinter den Berichten zeigen. Lass dich – positiv – überraschen.

  • Sei bei der Auswertung kritisch mit dir selbst. Warum war dir jemand spontan sympathisch/unsympathisch? Was bringt dich dazu jemanden zu bevorzugen, obwohl er oder sie deine Kriterien nicht voll erfüllt?

  • Wenn du Tests einsetzen möchtest, achte darauf, dass sie wissenschaftlich valide Aussagen treffen. Viele Persönlichkeitstests, die sich großer Beliebtheit erfreuen, haben den Aussagewert von Horoskopen.

Diversity als Arbeitsprinzip

Wir sehen im Internet mittlerweile ausschließlich Teambilder, wo kulturell und altersmäßig diverse Menschen entspannt miteinander arbeiten. Alles gut also?


Vorsicht: Unsichtbare Vereinheitlichungen

Die schönen Bilder können darüber hinwegtäuschen, dass wir unsere gegenseitigen Verhaltens-Erwartungen immer weiter normieren – und das weltweit. Einige Beispiele:

  • Wir zeigen uns als erfolgsorientierte, fitte, gesundheitsbewusste Menschen, die täglich hart an ihrer Karriere arbeiten – gern auch mit Familie. Auch sorgfältige Inszenierungen von „Überforderung“ und „Abgrenzung“ zahlen auf dieses Ideal ein.

  • Emotionen sollen gezeigt werden, behauptet LinkedIn. Allerdings nur, wenn es Freude, Trauer, Tränen usw. sind. Zorn sehe ich nie, auch keine Ermutigung für Wut oder richtigen Ärger – und auch keine Aufforderung, Empathie zu zeigen für wütende Menschen. Aber irgendwo in der Arbeitswelt müssten die doch auch sein…

  • Dazu passt, dass Kritik und kritisches Feedback zwar geäußert werden sollen, aber nach strengen Regeln. Wer das so nicht kann, spielt nicht mit, sondern schweigt oder wird nicht gehört.

Übermäßige Verhaltensrestriktionen (meistens als unausgesprochene Regeln) sind anstrengend und verlagern die Aufmerksamkeit der Beteiligten auf die Einhaltung von Spielregeln. Es besteht die Gefahr, dass das Unangepasste, Ungewöhnliche, Widerständige nicht geäußert wird und so nicht in die Arbeit einfließen kann.


Team-Tipp:

Glaubst du, in deinem Team und im Kontakt mit dir ist es möglich, frei weg die eigene Meinung zu sagen? Glaubst du, oder weißt du? Falls du es „nur“ glaubst, könnte das ein interessanter Tagesordnungs-Punkt für euer nächstes Meeting sein.


Nur relevante Unterschiede zeigen Wirkung

Angenommen, du hast für deine App-Entwicklung ein ethnisch und altermäßig gemischtes Team aus Männern und Frauen zusammengestellt, die alle Software-Ingenieur:innen sind. Dann bekommst du natürlich den Diversity-Preis deiner Firma, aber es könnte sein, dass die Kunden-Kommunikation sich zäh gestaltet. Und vielleicht gibt es auch viel Ärger mit eurem Vertrieb, weil die immer so billig anbieten und völlig hirnrissige Termine setzen.

Es macht also Sinn, Diversity auch vom Produkt oder der Arbeitsleistung her zu denken und zu fragen, welche Fähigkeiten und Eigenschaften an Bord sein müssen, um das Team- oder Unternehmensboot zum Ziel-Hafen zu segeln.  


Team-Tipp:

Im nächsten Team-Meeting malst du ein Bild vom Segelboot auf ein Flipchart und alle Team-Mitglieder zeichnen ein, welche Position sie auf dem Boot haben – ihrer Meinung nach. Und dann könnt ihr gemeinsam überlegen

  • wer sich wie gesehen fühlt und wie wohl in der eigenen Rolle

  • wie gut die Arbeit verteilt ist

  • wer eventuell fehlt in eurem Team und wonach ihr bei der nächsten Stellenbesetzung suchen solltet


Unterschiede sind nicht automatisch produktiv

Unterschiede sind erst mal anstrengend und schwierig – und sie sind das Basis-Material für Konflikte. Unvergessen, dass eine brasilianische Seminarteilnehmerin deutsche Feedbacks wie beidhändiges Ohrfeigen empfand. Oder der qualitätsgetriebene Ingenieur, der seit dem Hinweis seiner Führungskraft, dass 80% Lösung reichen, weiß, dass sie keine Ahnung hat. Oder die Kreative, die ihren sorgfältigen Kollegen pedantisch findet. Oder der ruhige und introvertierte Forscher, der die Anfrage der Marketing-Abteilung nach einem bunten Onepager für eine Zumutung hält. Oder, oder, oder.

Wenn du also ein unterschiedliches Team besetzt (Gründe s.o.), dann sorge auch für ein gutes Zusammenspiel.


Team-Tipp:

Unter dem Namen "manual of me", "manual to me", "Gebrauchsanweisung für mich" findest du im Internet eine Vielzahl von Vorlagen, die du nutzen kannst, um mit deinem Team individuelle Unterschiede bewusst zu machen. Es geht nicht darum, dass sich nach der Veröffentlichung der Manuals alle daran halten (das geht nämlich gar nicht). Wichtig ist, dass ihr eure Unterschiede reflektiert, veröffentlicht (so weit gewünscht und für die Arbeit relevant) und einen Austausch darüber zu starten.


Führungskräfte-Tipp:

Konflikte sind erwünscht. Denn sie zeigen, dass ihr unterschiedlich seid, dass ihr eure Unterschiede zeigen könnt - und dass die Lösung, auf die ihr zulauft, noch nicht die optimale ist.


 

Dieser Artikel ist Teil der Blogserie "Führungskraft entfalten - 26 Impulse für deine Führungsarbeit". Ich freue mich, wenn du hier interessante Ideen findest.



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