Ein innerer Kompass, der hoffentlich erkennbar ist
Innerer Halt und Orientierung
Ich moderiere häufiger Transition-Workshops, in denen sich die neue Führungskraft und das Team gegenseitig vorstellen. Das Team, das ausführlich fragen darf, interessiert sich auffallend oft für die Haltung der neuen Führungskraft, um sich orientieren zu können. Oft fragen die Teammitglieder zum Beispiel nach der schwierigsten Entscheidung und den Gründen, die zu ihr geführt haben. Haltung bezeichnet also eine Art inneren Ursprung des Verhaltens und dieser ist generalisierbar im Sinne von: ähnliche Situation bewirkt ähnliches Verhalten.
Haltung ist ein Mittelding zwischen Werten als Grundfesten und Verhalten als sichtbarem Tun. Haltung sorgt dafür, dass ich mich nicht in jeder Situation kompliziert und langwierig mit den Gegebenheiten auseinandersetzen muss, sondern dass ich schnell und sicher agieren kann. Haltung gibt also auch mir selbst Halt.
In der Ethik kommt noch der Aspekt der Bewusstheit hinzu: Haltungen sind bewusst eingenommene und reflektierte Standpunkte, zu denen ich mich entscheide und für die ich einstehe – an denen ich mich und mein Verhalten selbst messe und mich messen lassen möchte.
Den eigenen Haltungen auf der Spur
Von sich selbst und den eigenen Beweggründen gut zu denken, ist einfach. Sich in konkreten Situationen haltungskonform zu verhalten ist schwieriger, weil wir die verschiedenen Kontexte berücksichtigen müssen und schnell versuchen, die Kosten der Haltung in unsere Rechnung einzubeziehen.
Herausforderungen
Haltungen sind dann herausfordernd, wenn ihre Befolgung in unserer Berechnung negative Konsequenzen hat oder haben könnte:
Es wird unbequem: Zwar habe ich „immer ein offenes Ohr für meine Mitarbeitenden“; gleichzeitig ist der Kalender gut gefüllt und ich muss einiges umorganisieren, um Zeit zu schaffen
Es scheint riskant: Respekt ist mir wichtig, dennoch schweige ich, als der Abteilungsleiter einen Mitarbeiter vor versammelter Mannschaft beschimpft.
Selbstreflexion
Meistens gibt es ein unmittelbares Unwohlsein, wenn Haltung und Verhalten nicht übereinstimmen; vielleicht melden sich Schamgefühle. Selbstreflexion hilft, das Erlebte in Ruhe zu sortieren und zu bewerten. Es ist schmerzhaft, das eigene Verhalten als moralisch falsch zu erkennen und zu realisieren, dass man hinter den eigenen Ansprüchen zurückbleibt. Es ist gleichzeitig eine Chance zu überlegen, ob es Möglichkeiten zur Korrektur gibt und welche Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten diese Situation bereit hält.
Feedback
Frust von Mitarbeitenden besteht häufig aus enttäuschten Haltungs-Erwartungen. Und selbstverständlich muss eine Führungskraft nicht alle Erwartungen erfüllen. Dennoch stecken in Frust-Äußerungen und Feedbacks häufig Hinweise auf erlebte Diskrepanzen zwischen Haltungs-Äußerungen und konkreten Handlungen.
Führungskräfte, deren – geäußerte – Haltungen und Handlungen häufig übereinstimmen, werden als authentisch und verlässlich empfunden. An ihnen können Mitarbeitende sich gut orientieren und das eigene Verhalten darauf ausrichten. Sogar dann, wenn sie selbst vielleicht aus völlig anderen Haltungen leben.
Haltung kann man nicht fordern
Seit dem Erstarken rechtsextremer Parteien auch in Deutschland wird von Unternehmer:innen und Führungskräften Haltung gefordert. Gemeint ist damit mindestens eine deutliche Positionierung für unsere demokratische Verfassung und gegen Ausländerfeindlichkeit. Mit sehr viel Beifall bedacht wurden Botschaften verschiedener CEOs an ihre Mitarbeitenden vor der Europawahl.
Selbstverständlich findet das unternehmerische Handeln auf der Basis unserer Verfassung und in ihren rechtlichen Grenzen statt. Dazu gehören aber neben den oben genannten Rechten auch das Recht auf freie Meinungsäußerung und das Recht auf freie und geheime Wahlen. Gesinnungs-Vorgaben erinnern mich an Zeiten, in denen Gewerkschaften und Kirchen ihren Mitgliedern erklärten, welche Partei sie wählen sollen.
Bekenntnis-Zwang schafft äußerliche Anpassung
Führungshandeln heißt auch, für die Einhaltung der Grundrechte und die Umsetzung der Unternehmenswerte zu sorgen. Davon abweichendes Verhalten muss bemerkt und kommentiert werden.
Niemand muss aber eine LGBTQ+-Tasse des Unternehmens auf seinem Schreibtisch stehen haben oder sich Statements anhören, in denen es um Bundestags- oder Landtagswahlen geht. Je mehr Unternehmenszugehörigkeit verbunden wird mit Bekenntnissen, desto mehr wird unter dem Deckmantel der Diversität Vereinheitlichung befördert. Und selbstverständlich verändert sich durch äußeres Bekenntnis nicht unbedingt die Haltung; es wird also äußere Anpassung bei innerer Distanzierung geben. Und so gedeiht ausgerechnet Opportunismus, wo Authentizität gefordert ist.
Pragmatismus ist auch eine Haltung
Diversität gibt es in Produktionen und handwerklichen Berufen schon wesentlich länger als in Verwaltungen und Büros. Mitarbeitende müssen dort Tag für Tag eng zusammenarbeiten mit Kolleg:innen, die zu grundsätzlichen Lebens- und Arbeitsfragen völlig andere Haltungen haben. Neben wirklich tiefer Kenntnis über kulturelle und lebensgeschichtiche Prägungen erlebe ich in der Pflege wie in Werkshallen fast durchgängig eine pragmatische Herangehensweise, die sich auf das gemeinsame Arbeiten und die Lösung der dabei anstehenden Fragen bezieht. Bei Feiertags- und Frei-Schichten wird z.B. Religionszugehörigkeit berücksichtigt. Was die Transfrau von frommen Muslim:innen hält und umgekehrt, wird dagegen (respektvoll) beschwiegen.
Pragmatisch führen
Eine Führungsaufgabe ist es dann, einen Rahmen aufzuspannen und zu halten (Haltung!), in dem Menschen unterschiedlich sein können und gut zusammen arbeiten. Respektlosigkeit und Abwertung sind dort ebenso fehl am Platz wie Diskussionen um „richtige“ Haltungen.
Dieser Artikel ist Teil der Blogserie "Führungskraft entfalten - 26 Impulse für deine Führungsarbeit". Ich freue mich, wenn du hier interessante Ideen findest, deine Erfahrungen teilst und deine Meinung äußerst.
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